Der Kampf im Buch-Segment von Kindle ist hart. Und offenbar nutzen dubiose Coaching-Anbieter den Druck auf Autoren aus, um mit unlauteren Strategien Kasse zu machen.

Amazon: E-Book-Reader von Kindle auf einem Tisch
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Mit Kindle hat Amazon eine Plattform geschaffen, auf der das Unternehmen nicht nur E-Books verkauft, sondern über die Autoren ihre Bücher auch selbst verlegen können. Das hat viele Vorteile, denn es gibt kreativen Schreiberlingen die Möglichkeit, sich von Verlagen unabhängig zu machen. Allerdings scheinen sich im Kindle-Universum neben seriösen Weiterbildungsprogrammen auch einige dubiose Anbieter breitzumachen, die im Rahmen von Coachings verbotene Maßnahmen bewerben. Ziel dabei ist es, das System von Amazon zu täuschen und Rankings von Büchern gezielt zu manipulieren.

In der Redaktion des Amazon Watchblogs hat sich eine Autorin gemeldet, die an solch einem mehrwöchigen Coaching teilgenommen und tiefe Einblicke in die missbräuchlichen Strategien der Anbieter erhalten hat.

„1.000 Euro am Tag mit einem Buch“ – Anbieter werben mit horrenden Erträgen

Ein Kurs, mit dessen Hilfe man ohne größeren Aufwand das eigene Buch bei Amazon Kindle pushen kann? Diese Idee klang für Nadine Fischer [Name von der Redaktion geändert] durchaus spannend. Die Autorin hatte auch in der Vergangenheit schon einen Ratgeber über die Self-Publishing-Plattform von Kindle verlegt und damit monatliche Einnahmen generiert. Entsprechende Kurse wurden ihr von sogenannten Kindle-Business-Trainern in Facebook-Videos angezeigt.

Einige dieser Videos wirkten Fischer zufolge gleich auf den ersten Blick vergleichsweise unseriös – zum Beispiel, wenn „mit einem dicken Lamborghini“ geworben wurde, um potenzielle Erfolge zu suggerieren. „Das hat mich eher abgestoßen, weil es hin und wieder bekannt wurde, dass Online-Marketer manchmal für Werbezwecke dicke Schlitten mieten und so tun, als seien es ihre Autos. Bei sowas bin ich inzwischen skeptisch.“ Allerdings sei sie auch auf einen anderen Anbieter aufmerksam geworden, „der weniger mit Luxus protzte, aber im Nachhinein betrachtet mit dicken Zahlen aus dem kdp-Dashboard hausieren ging.“

Dieser Anbieter habe mithilfe eines eigenen YouTube-Kanals für seine Dienste rund um Kindle Direct Publishing (kdp) und die vermeintlichen Erfolge geworben: „Er präsentiert dort unter anderem Absolventen, die – so wird es kommuniziert – seit dem Mentoring extrem erfolgreich mit Amazon kdp sind. Den Videos zufolge haben es Schichtarbeiter, eine zweifache Mutter, eine Studentin, ein Privatinsolvenzler und andere geschafft, dank des Mentorings nach kurzer Zeit über 1.000 Euro am Tag mit einem Buch ‚zu machen‘ oder bis zu 8.000 Euro im Monat mit dem Kindle-Business umzusetzen. Die schlichte Aufmachung der Videos sprach mich an, weil sie auf mich authentisch wirkt – ich fasste Vertrauen“, erzählt Fischer.

Minderwertige Texte und Tipps für die Suche nach Ghostwritern 

Der Kurs, an dem die Autorin schließlich teilnahm, richtete sich demnach „letztendlich an alle, die die Teilnahmegebühr in Höhe von 3.000 Euro bezahlen können“. Anforderungen an die bis zu 15 Teilnehmer oder die Qualität der Texte gäbe es demnach nicht. Ganz im Gegenteil: Die Erfahrungen von Nadine Fischer zeigen, dass in den Kursen vermittelt wird, wie man lukrative Themennischen auskundschaftet, Recherchetools zum Einsatz bringt, einen Ghostwriter engagiert oder ein Buchcover designen lässt. 

Bei den eigentlichen Werken handele es sich schließlich nicht selten um schlecht recherchierte oder zusammengestückelte Texte: „Hier treffen sich keine Autoren, die ein Herzensthema haben und unter Anleitung ihr Buch selbst schreiben. Hier geht es darum, den Buchmarkt nach Trends abzuklopfen und daraufhin so etwas wie ein Buch produzieren zu lassen. Für mich kam recht schnell eine Ernüchterung: Ich wollte ja nicht lernen, wie man einen Ghostwriter findet – ich schreibe ja selbst und habe schon einige Themen und auch fertige Texte in der Schublade liegen.“

Die Vermittlung des vermeintlichen „Expertenwissens“ fand einerseits über Videos statt, andererseits wurden Aufgaben an die Teilnehmer verteilt, die dann wiederum mit dem zugeteilten Mentor besprochen wurden. Auch Telegram-Gruppen und Zoom-Videochats kamen zum Einsatz. „Ich kann also nicht sagen, dass ich keine Leistung bekommen hätte; die Videos wurden geliefert, die Chats fanden statt“, so Fischer weiter. 

Gefälschte Rezensionen von echten Amazon-Konten

Die größte Enttäuschung sei für die Autorin allerdings der Umgang mit gefälschten Rezensionen gewesen: „Ich habe 3.000 Euro dafür bezahlt, dass ich erklärt bekomme, wie ich mein Buch künstlich pushe.“ Grundlage dieser missbräuchlichen Strategie, die bei Amazon ausdrücklich verboten ist, sind sogenannte „virtuelle Assistenten“ (VAs) oder auch „Testleser“, von denen sich Fake-Rezensionen kaufen lassen.

„Im Schnitt zahlt man zwischen vier und sieben Euro plus Buchpreis pro Rezension. Die virtuellen Assistenten verfügen über ein Netzwerk von freien Mitarbeitern, die über ihre Amazon-Accounts die beauftragten E-Books oder Taschenbücher kaufen und rezensieren – natürlich positiv, sonst geht ja die Push-Strategie nicht auf. In den ersten drei Tagen erfährt so ein NoName-Buch dann einen enormen, künstlich erzeugten Schub noch vorne, ausgelöst durch eingefädelte Sales und gekaufte Rezensionen. Damit soll der Amazon-Algorithmus ausgetrickst werden. Amazon denkt, es handele sich um ein cooles Neueinsteiger-Buch, das schnell im Ranking nach oben klettert, und durch die gekauften Rezensionen denken echte Käufer, sie hätten es mit einem waschechten Bestseller zu tun.“ Die gekauften Rezensionen sollen potenziellen Käufern bzw. interessierten Kunden eine erhöhte Nachfrage suggerieren und Vertrauen schaffen. „Manche ‚Autoren‘ bestellen pro Monat für 1.000 Euro Rezensionen.“

Fake-Rezensionen werden nicht nur gekauft, sondern auch getauscht 

Die Kursteilnehmer hätten den Berichten zufolge von den Veranstaltern des Kurses die Kontaktdaten zu den „VAs“ erhalten. Dabei wurde ausdrücklich betont, „dass man eigentlich nur erfolgreich im Kindle-Business ist, wenn man solch eine Strategie – die ja auch teuer ist – fährt“. 

Teilnehmern, die weniger Geld hätten, stünde zum Kauf auch eine Alternative offen: der Tausch von Rezensionen. Dabei knüpfen die Nutzer Kontakte in speziellen Facebook-Gruppen, in denen sie Inserate aufgeben. „Suche Rezipartner für 99cent-Buch“, heißt es dann beispielsweise. Indem die E-Books in der Startphase von den Autoren für 99 Cent über die Kindle-Plattform angeboten werden, hätten beide Tauschpartner die Möglichkeit, die entsprechenden Bücher kostengünstig zu kaufen und gegenseitig zu bewerten. Das sei für beide Seiten äußerst gewinnbringend, da sowohl Verkäufe als auch Positivbewertungen generiert würden, was schließlich die Attraktivität des Buches bei Amazon und den Kunden steigert.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass man befürchtet, aufzufliegen“

Die Veranstalter scheinen zu wissen, dass die von ihnen empfohlenen Maßnahmen, die sie empfehlen und beleuchten, gegen die Richtlinien von Amazon verstoßen: „Der Kursveranstalter verkündet jedes Mal einen Disclaimer, in dem er mitteilt, dass die besagte Pushstrategie auf eigene Verantwortung läuft. Aber gleichzeitig wird auch verkündet, dass man mit genau der besagten Strategie im Kindle-Business erfolgreich ist.“ Nach eigenen Angaben seien die Veranstalter mit ihren empfohlenen Maßnahmen bereits seit vier Jahren „sehr erfolgreich“ im Geschäft.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass man befürchtet, aufzufliegen. Ob es den Teilnehmern des Kurses bekannt ist, dass gekaufte oder getauschte Rezensionen bei Amazon kdp eigentlich verboten sind, bezweifle ich. Es wird insgesamt von den Teilnehmern wenig in Frage gestellt“, berichtet die Autorin weiter.

Kritik ist nicht gern gesehen

Wenn ein Teilnehmer zu Empfehlungen doch einmal etwas kritischer nachfragte, hätten die Veranstalter mit Vorwürfen gekontert. Solchen Teilnehmern werde dann unter anderem angelastet, „nicht das richtige Mindset“ zu haben. Auch sollten Teilnehmer ihre kritischen Fragen unter vier Augen mit ihrem zugeteilten Mentor klären und nicht etwa in größerer Runde in den Telegram-Gruppen. Auch den Vorwurf, andere Teilnehmer mit solchen Anmerkungen runterzuziehen, habe Fischer erlebt.

„Es wurde auch schon gedroht, die Gruppe zu schließen. Wer am Erfolg des ganzen ‚Programms‘ zweifelt, hat angeblich den Begriff ‚Unternehmertum‘ nicht verstanden. Ich bin zum Beispiel sehr überrascht davon gewesen, dass solch eine Buch-Veröffentlichung – soll sie erfolgreich sein – mit doch nicht unerheblichen Kosten einhergeht; die Kosten für gekaufte Rezensionen und gekaufte Sales hatte ich natürlich nicht eingeplant. Insgesamt fühlt sich das ganze nach Kaffeefahrt an: Man muss glauben, was der, der da vorne steht, sagt, und völlig überteuertes Wissen kaufen, das unterm Strich dazu führt, dass man nur mit gezinkten Karten gewinnen kann. Wer kritisch fragt, steht in der Regel alleine da“, erzählt Fischer weiter.

„Die neuen Teilnehmer können sich noch nicht dazu äußern, weil sie ja immer noch den Glauben haben, dass sie bald erfolgreich sind, und die, die schon länger dabei sind, sind entweder durch die Schmu-Methode wirklich erfolgreich oder sie testen immer noch rum; dazu wird ja auch geraten: ‚Probiert, was für Euch passt und seid bereit, erst mal Geld zu verbrennen.‘ Ich bin nicht bereit, Geld zu verbrennen.“

Unseriöse Anbieter lassen sich schnell finden

Aus Sicht der Autorin dürfte es für Amazon nur schwer nachzuvollziehen sein, welche Kindle-Rezensionen nun tatsächlich von echten Kunden stammen und welche doch gekauft oder getauscht wurden. „Die Sales finden ja von realen Amazon-Accounts aus statt; die VAs scharen eben viele ‚Testleser‘ um sich herum, und die gekauften Rezensionen können aus allen Winkeln der Erde eintrudeln.“

Weitaus weniger schwierig sei ihrer Erfahrung nach jedoch das Enttarnen der unseriösen Veranstalter. Bereits mit wenig Aufwand und einer geringen Zahl von Klicks könne man etwa bei Facebook jene Gruppen finden, die auf den Tausch von Rezensionen ausgelegt seien. Gleiches gelte für die Google-Suche nach den selbst ernannten Kindle-Experten.

Amazon hilft Autoren mit eigenem Trainingsbereich

Weiterempfehlen würde sie die Kurse grundsätzlich nicht: „Ich bin ernüchtert. Ich kann niemandem empfehlen, Tausende von Euros in ein ‚kdp-Trainingsprogramm‘ zu investieren. Es gibt gute Literatur zum Kindle-Business am Markt, die man für ein paar Euro bekommt; oder Videokurse, die 99 Euro kosten, von mir aus auch 150 Euro. Zudem bietet Amazon kdp einen ständig aktualisierten Trainingsbereich, in dem man viel Gratis-Input bekommt. Aber große Summen sollte man nicht investieren, damit der finanzielle Schaden nicht zu groß ist, wie in meinem Fall“, zieht Fischer ihr Resümee. 

Was man als Teilnehmer eben auch nicht vergessen dürfe: Bis sich die hohen Ausgaben für einen solchen Kurs rentiert haben, dürfte nach ihrer Einschätzung bei vielen eine längere Zeit vergehen. Denn auf eine genaue Kostenaufstellung oder einen Verweis auf zusätzliche Kosten, wie etwa für Anzeigenschaltung, die kontinuierlich vorgenommen werden müssten, verzichten die Veranstalter zu Beginn der Kurse.

„Das Kindle-Business braucht Zeit, bevor man ernten kann“

Nadine Fischer habe sich als Teilnehmerin eines solchen Kurses gegen den Kauf von Rezensionen entschieden. „Da hatte ich zu viel Skrupel. Ich hatte mich als Alternative auf einen Rezensionstausch eingelassen und bekam Bauchweh, weil ich für grottenschlechte Bücher Fünf-Sterne-Bewertungen geben musste, das war ja der Deal.“ Schlussendlich habe sie sich von der Kindle-Plattform abgewandt, da sie als neue Autorin ohne bestehende Fanbase kaum Chancen auf eine gute Sichtbarkeit sehe. Auch das Vertrauen in die selbst verlegten Kindle-Bücher habe sie verloren, seitdem sie gesehen habe, wie manche Bewertungen zustande kommen.

„Das Kindle-Business braucht Zeit, bevor man ernten kann. Mal so nebenbei mit schmalem Budget erfolgreich ins Kindle-Business zu starten, ist nach meiner Erfahrung nicht möglich, und jeder, der den Werbe-Videos Vertrauen und Glauben schenkt, wird alsbald eines Besseren belehrt.“ 

Amazon investiert hohe Summen in den Schutz vor Missbrauch

Auch Amazon selbst hat sich zum Thema der Kindle-Betrugs-Coachings geäußert. Das Unternehmen ließ über eine Sprecherin verlauten: 

„Die überwiegende Mehrheit der Rezensionen auf Amazon ist authentisch und hilft Millionen von Kunden täglich, bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Jedoch versucht bisweilen eine sehr kleine Zahl von Autoren und Verlegern, sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem sie falsche, irreführende und ungenaue Kundenrezensionen für ihre selbst veröffentlichten Bücher erstellt. Amazon investiert beträchtliche Ressourcen, um die Glaubwürdigkeit der Rezensionen in unseren Stores zu schützen, weil wir wissen, dass Kunden die Meinungen und Erfahrungen von anderen Käufern schätzen.“ 

Amazon sperrt bei Missbrauch Nutzer

Dabei verweist das Unternehmen auch ganz konkret auf klare Teilnahmebedingungen – und zwar sowohl für die Verkaufspartner als auch für die Rezensenten. Kommt es zu einem Verstoß, dann ergreift Amazon nach eigenen Aussagen Maßnahmen, die entweder mit einer vorübergehenden Sperre des Nutzers oder gar einem dauerhaften Ausschluss einhergehen. Auch rechtliche Schritte behält sich Amazon vor.

Um gefälschte Rezensionen aufzuspüren, ihnen vorzubeugen und im Fall der Fälle gegen die Verursacher des Missbrauchs vorzugehen, setzt Amazon demnach auf eine Kombination aus menschlichen Teams und automatisierten Systemen. „Wir nehmen Verstöße sehr ernst und die meisten Versuche, entgegen unserer Richtlinien zu handeln, überführen wir vor der Veröffentlichung. In seltenen Fällen, in denen jemand damit durchkommt, setzen wir auf eine Mischung aus automatisierter und menschlicher Kontrolle sowie auf Informationen von Verlegern und Kunden, um diese Bücher zu erkennen. Alle Kindle-Produktseiten enthalten einen Link, um verdächtige Titel zu melden, und wir untersuchen alle Titel und Verlage, die von Lesern und Autoren gemeldet werden.“

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Geschrieben von Tina Plewinski