Was wurde nicht alles gemunkelt?! In den vergangenen Monaten und Jahren gab es immer wieder Gerüchte über den Deutschland-Start von Amazon Fresh. Dabei stand nicht nur der Starttermin immer wieder im Zentrum wilder Spekulationen. Auch über die potenziellen Lieferregionen wie etwa München oder Berlin wurde heftig gerätselt. Der Gerüchteküche wurde nun – zumindest vorerst – der Wind aus den Segeln genommen, denn Amazon Fresh hat hierzulande endlich seine Pforten geöffnet.

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Amazon Fresh startet regional extrem begrenzt

Wer sich nun jedoch auf einen Einkauf frischer Lebensmittel bei Amazon freut, der sollte kurz innehalten und durchatmen: Denn jene Kunden, die tatsächlich Amazon Fresh nutzen dürfen und beliefert werden, gehören zu einer äußerst kleinen Gruppe. Hier ein paar harte Fakten:

Amazon hat Amazon Fresh in Teilen von Berlin und Potsdam gestartet.
Amazon Fresh ist ein exklusiver Service für Prime-Kunden.
Es wird ein Pauschalbetrag von 9,99 Euro im Monat fällig, um Amazon Fresh nutzen zu dürfen. Dafür fallen bei einem Mindestbestellwert von 40 Euro keine zusätzlichen Lieferkosten an.

Eine Kollegin nannte heute Morgen die Amazon Fresh-Pauschale eine „Eintrittskarte“ für den Online-Supermarkt. Und damit hatte sie nicht ganz Unrecht. Amazon scheint davon auszugehen, dass sich viele zahlende Prime-Kunden finden lassen, die (neben der Prime-Mitgliedschaftsgebühr von 70 Euro) im Jahr einfach mal knapp 120 Euro auf den Tisch legen, um dann versandkostenfrei bei Amazon Fresh einkaufen zu dürfen. Hat das Unternehmen damit recht? Ist quasi eine digitale Berechtigungskarte zum Online-Lebensmittelkauf 120 Euro wert? – Eine Frage, deren Antwort sich in den kommenden Monaten beantworten wird, sollte Amazon erste Zahlen zum potenziellen Fresh-Erfolg preisgeben.

 

Amazon Fresh-Banner
© Amazon

Ein Blick in das Sortiment

Sicherlich begründet Amazon die pauschale Grundgebühr mit den durchaus beachtlichen Kosten für die Logistik… Die logistische Umsetzung stellt einige Hürden auf – zumal über Amazon Fresh auch äußerst kritische Produkte wie Obst und Gemüse, Tiefkühlkost, frisches Fleisch und frischer Fisch oder sogar Eis geliefert wird.

Doch andere Marktteilnehmer bieten in ihren Online-Supermärkten ebenfalls Vollsortimente mit sensiblen Milch- und Kühlprodukten sowie Fleisch, Fisch und Tiefkühlwaren an. – Und das tun sie, ohne eine Grundgebühr zu verlangen, die darüber hinaus fällig wird, egal, ob man nun in diesem Monat online einkaufen geht oder nicht… Selbst treue Amazon-Kunden werden sich diesen Schritt sicher gründlich überlegen.

Eins vielleicht noch am Rande: Mit 85.000 Artikeln dürfte sich Amazon Fresh mit großem Abstand von anderen Online-Supermärkten abheben. Doch blickt man sich beispielsweise im Sortiment von AllyouneedFresh um, das lediglich ein Viertel so groß ist, so dürfte schon hier bei vielen Kunden kaum ein Wunsch offen bleiben. Ein solch gigantisches Sortiment wie bei Amazon Fresh ist also vielleicht gar nicht nötig, wenn die Qualität und Bandbreite grundsätzlich stimmt.

Um mal einen kleinen Vergleich zu ziehen, haben wir die Dienste von Amazon Fresh, AllyouneedFresh sowie des Rewe Online-Shops mal nebeneinander gestellt. Dabei zeigt sich, dass es – zumindest auf Basis der Vergleichskriterien – auf den ersten Blick keinen eindeutigen Gewinner gibt, sondern jedes Unternehmen Stärken und Schwächen aufweist.

Tabelle: Vergleich Amazon Fresh und Konkurrenten
Vergleich Amazon Fresh und Konkurrenten

Ist das Ende der Amazon-Konkurrenten gekommen?

Im Vorfeld des Amazon Fresh Deutschland-Starts schlug bereits der Berufsverband der Insolvenzverwalter in Deutschland (VID) Alarm und erinnerte an den Ruf von Amazon als Branchenkiller. „Angebote wie Amazon Fresh werden das milliardenschwere Lebensmittel-Geschäft über kurz oder lang umpflügen und für zahlreiche Insolvenzen sorgen“, sagte Christoph Niering, Vorsitzender des VID (wir berichteten).

Doch müssen die Konkurrenten aus der Lebensmittel-Branche nun tatsächlich zittern und sich auf die Schließung ihrer Geschäfte einstellen? Max Thinius, Sprecher von AllyouneedFresh, sagte uns auf Nachfrage:

„Wir glauben ehrlich gesagt nicht, dass Amazon der ‚Auslöser‘ für einen möglichen Rückgang des stationären Handels ist. Der Lebensmittel-Onlinehandel passt sich generell den Erfordernissen und neuen Möglichkeiten einer sich verändernden Gesellschaft an. Das kann man in anderen Branchen aber auch beobachten. All jene, die diese neuen Möglichkeiten für sich nutzen und sie weiterentwickeln, haben in zukünftigen Märkten bessere Chancen. Wer das nicht tut, wird mitunter verschwinden.“ Es werde sich laut Thinius grundsätzlich noch vieles in der Branche ändern. „Bis dahin freuen wir uns über jeden neuen Marktteilnehmer, da das ganze Thema Lebensmittel-Onlinehandel hierdurch in Schwung kommt.“

Man darf also die frühzeitig herbei geholten Grabschaufeln und Gedenktafeln für die totgeglaubte Konkurrenz ruhig noch einmal wegpacken. Wie heißt es so schön? – Totgeglaubte leben länger. Sachte Zweifel an Amazons vermeintlichem Ziel, die Supermarkt-Widersacher restlos auszumerzen, sind nach wie vor erlaubt und bilden die Grundlage für frischen Wind und innovative Neuerungen der gesamten Branche.

 

/ Geschrieben von Tina Plewinski