Amazon wird auch nach dem Ende der Bezos-Ära entgegen aller Kritiker-Hoffnungen grob so bleiben, wie es jetzt ist. Ein Kommentar.

Würfel mit No Change / No Chance
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„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wusste schon Hermann Hesse bei seinem Gedicht „Stufen“. Auf derlei Magisches hoffen vor allem viele Amazon-Kritiker, wenn Jeff Bezos jetzt nach gut einem Vierteljahrhundert den Chefsessel räumt und dann Vorsitzender des dem Vorstand übergeordneten Verwaltungsrats wird. Für Kritiker steht Bezos und vor allem sein Konzern als Logo-grinsendes Sinnbild für einen menschenverachtenden Kapitalismus, ein Unternehmen, das für seinen proklamierten Kundenfokus eben u. a. seine Marktplatz-Händler, eigene Mitarbeiter, aber auch Kartellwächter, Länder und die Umwelt geißelt. Mit Gründer Bezos ebenfalls verschwinden sollen u. a. die konstant kritisierten Arbeitsbedingungen, die laxe Steuermoral, die Marktplatz-Tricksereien etc.

Der lange Schatten von Jeff Bezos 

Nachfolger Andy Jassy soll im Idealfall in messianischer Manier alles, was an oder bei Amazon schlecht war, zum Guten wenden. Doch das Amazon sich jetzt komplett ändert – das wird, ja kann gar nicht nicht passieren. Dagegen sprechen gleich mehrere Gründe:

  • Amazon hat bei aller Kritik – durch Corona weiter befeuert – wahnwitzigen Erfolg. Neben Milliarden- und weltweitem Macht-Wachstum muten die vielen kleinen Problem-Störfeuer nur wie der schlechte Beigeschmack eines großen Festmahls an. Warum sollte Neu-Chef Jassy also im Großen von Bezos’ erfolgsgekrönter und etablierter Linie abweichen?

  • Hinzu kommt der – wortwörtlich – doppelte lange Schatten von Jeff Bezos: Jassy hat als sogenannter „Shadow“ von Bezos vor einigen Jahren ein Mentoren-Programm unter dem Amazon-Gründer durchlaufen, bei dem er seinen Chef quasi Tag und Nacht begleitete – und mit Sicherheit einiges in seinen eigenen Management-Methodenkoffer übernommen hat. Noch dazu ist Bezos ja nicht aus der Welt, bzw. ständig im Weltraum, sondern sitzt sogar noch mit objektiverem Blick auf das Tagesgeschäft jetzt eine Stufe höher – und wird eingreifen, wenn das von ihm hochgezogene Imperium allzu sehr ins Wanken gerät.

    Amazon ist viel zu groß, um sich zu ändern

  • Was passiert, wenn große Brocken mal eben den Kurs ändern, konnte man zuletzt im Suez-Kanal sehen. Das heißt: Amazon hat sich allein durch seine Größe an Geschäftsfeldern, Abläufen und Personal trotz allem bereits gewandelt – aber eben vom dynamisch-flexiblen StartUp der 90er-Jahre zu einem eher behäbigen Weltkonzern, der u. a. sein Top-Personal eben deswegen an die aufstrebenden Unternehmen unserer Zeit verliert. Selbst wenn der Neu-Chef es also wollen würde – es bräuchte enorm Zeit und Mühe, alle kleinen Stellschrauben zu drehen, bis Amazons großes Perpetuum Mobile sich neu ausrichtet.

  • Viele Kritikpunkte an Amazon sind altbekannt und immer wieder an der medialen Tagesordnung. Allein: Es ändert sich kaum etwas zum Besseren. Miese Arbeitsbedingungen? Trotzdem findet Amazon immer wieder Leute – die scheinbar auch nicht in die Gewerkschaft wollen. Monopol und Machtmissbrauch? Gefühlt weiß es jeder; nur beweisen müssen es Kartellbehörden (zum Glück) trotzdem – und scheitern immer wieder mal. Ebenso wie bei Amazons Steuertricks. Die, nebenbei noch mal erwähnt, legal sind – derartige Lücken im System wurden von Politikern aufgerissen. Und zu guter Letzt: Trotz omnipräsenter Hände in Amazons Wunden kaufen die treuen Online-Kunden in Scharen. Verbales Amazon-Bashing ist schnell getan – die Kritik endet aber oft da, wo sie Amazon am meisten weh tun würde: am eigenen Geldbeutel und der Bequemlichkeit. Dabei weist ja schon bereits erwähnter Hesse darauf hin, was man als kritischer Online-Shopper mit der eingebläuten Amazon-Konditionierung machen könnte:

    „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise,
    und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“
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Geschrieben von Markus Gärtner