Amazon muss angesichts der ersten Gewerkschaft weiteres Engagement und höhere Kosten fürchten. Ein Experte erklärt, was das für Amazon Deutschland heißt.

Amazon-Arbeiter
Luigi Morris / Shutterstock.com

Amazon Labour Union (ALU) – das ist der Name der ersten Amazon-Gewerkschaft. Nach der historischen Abstimmung zur Gründung einer Gewerkschaft im Amazon-Lager JFK8 in Staten Island muss Amazon sich jetzt auf mögliche Konsequenzen einstellen. US-Präsident Joe Biden hat sich unterdessen über das Ergebnis gefreut und unterstützt die neue Gewerkschaft.

Auch andere Amazon-Zentren planen Gewerkschaften

„Die Revolution ist da“, sagte Chris Smalls, einer der Haupt-Organisatoren und neuer Chef der ALU. Laut Guardian haben bereits Mitarbeiter von über 50 anderen Amazon-Standorten die ALU kontaktiert und ebenfalls Interesse gezeigt, vor Ort Gewerkschaften zu gründen bzw. einer beizutreten. Für Amazon könnte ein Domino-Effekt eintreten, der den Start weiterer Gewerkschaften bedeutet – oder die ALU könnte größer werden und sich in Sachen Arbeitervertretung damit langfristig als Gegengewicht zum Online-Riesen positionieren.

„Die Arbeiter, mit denen ich mich organisiere, sind jetzt wie meine Familie“, sagte Smalls. Die ALU hat bereits begonnen, mit Amazon über einen Vertrag für die Mitarbeiter in Staten Island zu verhandeln, heißt es. Die ALU fordert unter anderem eine Erhöhung des Stundenlohns von 18 auf 30 Dollar sowie mehr Urlaub und mehr bezahlte Pausen. Am 25. April soll ein weiterer Amazon-Standort in Staten Island über einen Gewerkschaftsbeitritt abstimmen. 

So teuer werden Gewerkschaften für Amazon

Unterdessen hat das Investmentbanking-Unternehmen Morgan Stanley analysiert, was die mögliche Verbreitung von Gewerkschaften finanziell für Amazon bedeuten könnte, wie cnbc berichtet. Die Personalkosten würden deutlich steigen: Für jeweils ein Prozent der Amazon-Mitarbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren würden, würden sich die jährlichen Betriebskosten um je 150 Millionen US-Dollar erhöhen, so die Schätzung der Analysten.

Amazon hat derzeit rund 1,6 Millionen Mitarbeiter weltweit und gehört somit zu den größten privaten Arbeitgebern überhaupt. Davon arbeiten rund 750.000 Mitarbeiter in der Logistik. In Staten Island wollten 2.654 Arbeiter in die ALU, das ist immerhin schon fast ein halber Prozent – und das ist nur ein Lager. Trotzdem erwarten die Analysten von Morgan Stanley „keinen schnellen Trend zur gewerkschaftlichen Organisierung“. 

Das sind die Folgen für Amazon Deutschland

Auch Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln sieht keinen generellen Trend für die Branche. „Organisiert werden kann jetzt ein einzelnes Logistikzentrum in New York. Eine Organisationsfähigkeit in der Fläche ist aber nicht in Sicht. Agiert die Gewerkschaft geschickt, könnten andere Amazon-Standorte in den USA folgen. Zweifellos eine Riesenchance, die Gewerkschaft hat bei Amazon jetzt den Fuß in der Tür. Es handelt sich jedoch um einen konzernbezogenen Impuls, nicht um einen branchenübergreifenden nationalen oder gar internationalen“, so der Experte. 

Auf Deutschland oder andere europäische Logistikstandorte von Amazon habe der Sieg – außer einem „positiven psychologischen Effekt, einer Art Rückenwind“ – keine große Wirkung. Die deutsche Gewerkschaft Verdi müsse nun „dranbleiben“, so Lesch: „Verdi braucht in Deutschland keine Mehrheit, um im Konzern Mitglieder organisieren zu dürfen. Die Gewerkschaft braucht aber einen gewissen Rückhalt unter den Arbeitnehmern, um wirksam für einen Tarifvertrag streiken zu können. Und davon scheint die Organisation noch weit entfernt zu sein. Das wird sich durch den Erfolg in den USA nicht ändern.“

US-Präsident Joe Biden unterstützt Amazon-Gewerkschaft

Auch US-Präsident Joe Biden hat sich zu dem Start der Amazon-Gewerkschaft geäußert, berichtet cnbc. Auf einer Rede bei der nationalen Gewerkschaftskonferenz sagte er: „Die Entscheidung, einer Gewerkschaft beizutreten, liegt allein bei den Arbeitnehmern. Übrigens, Amazon – da sind wir.“ Biden setzte sich auch für das geplante Gesetz zum Schutz des Organisationsrechts ein, das gewerkschaftliche Aktivitäten vereinfachen und schützen würde. Das Gesetz ist aber noch nicht durch den US-Senat genehmigt. 

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Geschrieben von Markus Gärtner