Die Gegebenheiten auf dem Online-Marktplatz von Amazon sind nicht in Stein gemeißelt. Händler müssen daher flexibel agieren können, weiß Branchenspezialist Nils Zündorf von Factor-a.

 

Ein gelber Pfeil schert aus der Masse aus
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Wie hat sich die Coronakrise auf die Bedeutung von Amazon ausgewirkt? Welche Erfolgschancen und Stolpersteine sollten Amazon-Händler unbedingt im Blick behalten? Und wie geht es mit Amazons teil aggressiver Marken-Strategie weiter? – Wir haben bei Branchenexperte Nils Zündorf nachgefragt. Zündorf ist einer von vier Geschäftsführern bei Factor-a, einer Amazon-Agentur für Marketing und Technologie. Daher hat er tiefe Einblicke in die aktuelle Lage.

Amazon Watchblog: Herr Zündorf, wie hat sich die Bedeutung von Amazon für Händler und Hersteller in den vergangenen Monaten durch Corona verändert?

Nils Zündorf: Die Bedeutung von Amazon hat für Händler und Hersteller in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Auf der einen Seite war Amazon bei vielen der stärkste Vertriebskanal, auf der anderen Seite ist vielen auch die Abhängigkeit von der Plattform bewusst geworden. Insbesondere in der Zeit als viele Geschäfte geschlossen waren, war Amazon für viele der größte Absatzkanal. Dadurch bekommt der gesamte E-Commerce-Kanal endlich die nötige Aufmerksamkeit beim Management und wird auch beim letzten Verweigerer nicht mehr nur als lästiges Vehikel gesehen, das die Vertriebsstruktur stört.

Verschiedene Faktoren, die die Qualität eines Händlers bestimmen

Was sind neben schnellen Lieferzeiten die wichtigsten bzw. vielversprechendsten Kriterien, auf die sich Amazon-Händler fokussieren sollten?

Amazon misst die operative Qualität eines Händlers an verschiedenen harten Key Performance Indicators, wie z. B. Retouren-Quote und Antwortzeit auf Kundenfragen. Diese sind maßgeblich für die Entscheidung, ob der eigene Artikel in der Buy-Box erscheint. Zusätzlich sollte der Händler die Kaufentscheidung durch eine kundenzentrierte Produktdetailseite positiv beeinflussen – sprich ansprechende Bilder, eine übersichtliche Beschreibung mit den wichtigsten Fakten und visuelle Erläuterungen der Anwendungen.

Eine Ebene höher ist sicherlich ein gutes Portfolio-Management der wichtigste Faktor für den Erfolg. Amazon ist nicht nur größter Absatzkanal der westlichen Welt, sondern auch der wettbewerbsträchtigste. Ständige Beobachtung des Marktes und entsprechende Anpassungen sind in diesem dynamischen Umfeld der Schlüssel zum Erfolg.

Als große Amazon-Agentur hat Factor-a tiefe Einblicke in den Alltag von Händlern. Wo liegen Ihrer Erfahrung nach die größten Probleme beim Handel auf dem Amazon-Marktplatz?

Die beiden größten Herausforderungen klingen zunächst trivial: Den Überblick über das Portfolio zu behalten und die schier endlose Zahl an Aufgaben zu priorisieren. Denn im Gegensatz zu klassischen Handelspartnern stellt Amazon nur das System und den Rahmen – dieses mit Leben zu füllen und aktuell zu halten, ist meist schon Herausforderung genug für die häufig zu kleinen Teams. Es kann nur reagiert und nicht progressiv agiert werden.

Ist man mit dem Team gut aufgestellt, ist es trotzdem eine Herausforderung, vorausschauend zu planen, denn jede Woche können sich die Rahmenbedingungen grundlegend ändern. Selbst für erfahrene Händler kann die eigentlich triviale Listung in einer neuen Kategorie komplett neue Anforderungen darstellen. Viele Themen müssen zum ersten Mal gemacht werden, sind nicht sauber dokumentiert und dank Amazons mangelnder Kommunikationspolitik kurzfristig umzusetzen. Deswegen ist zentral, dem eigenen Amazon-Team die nötige Flexibilität in der Organisation zu geben und zu akzeptieren, dass Fehler passieren.

Ich persönlich kann nur raten, sich regelmäßig mit anderen Händlern/Herstellen/Experten auszutauschen und Strukturen zu schaffen, die schnelles Handeln zulassen.

Eigenmarken: Bekommt Amazon die gleichen Probleme wie Microsoft und Google?

Amazon hat in den vergangenen Jahren immer mehr Eigenmarken gestartet und tritt mit Händlern dadurch noch intensiver in Konkurrenz. Wie wird sich Ihrer Meinung nach diese Entwicklung fortsetzen und auf das Verhältnis zwischen Amazon und Herstellern auswirken?

Ich gehe davon aus, dass sich die Entwicklung weiter fortsetzt, aber die Eigenmarken werden noch stärker von den Retail-Teams getrennt werden als jetzt schon. Das Risiko des Datenmissbrauchs zum Wettbewerbsvorteil ist real. Wichtig dabei ist es, nicht zu vergessen, dass alle Handelsketten auf Eigenmarken setzen, um im niedrigen Preissektor ein Angebot mit höherer Marge platzieren zu können – in der Regel in Kooperation mit den „Marken“-Herstellern als Whitelabel, die dadurch ihre Kapazitäten auslasten/steigern können. Das Ausmaß bei Amazon mit Hunderten Marken in allen Bereichen ist natürlich außergewöhnlich, aber den Maßstäben Amazons geschuldet. 

Wenn man jedoch wie Amazon den Anspruch des kundenzentriertesten Marktplatzes der Welt hat, finde ich die extra Platzierungen der Eigenmarken auf der Seite schwierig, aber betriebswirtschaftlich verständlich. Hier werden wir sicherlich noch an den Punkt kommen, dass Amazon auf wettbewerbsrechtlicher Seite Probleme bekommen wird – wie Microsoft mit vorinstallierten Browsern auf Windows oder Google bei der Priorisierung der eigenen Produkte in der Suche.

Für den einzelnen Händler oder Hersteller gilt jedoch unabhängig davon: Die eigenen Produkte brauchen einen USP, ein faires Preis-Leistungsverhältnis oder eine starke Brand, um im Wettbewerb – egal ob mit Amazon selbst oder Dritten – bestehen zu können.

Amazon als Erweiterung des eigenen Online-Shops, als wichtigster Vertriebskanal, als Full-Service-Plattform oder als Business-Partner im Vendor-Bereich – die Möglichkeiten für Händler und Hersteller sind riesig. Ihrer Erfahrung nach: Wie leicht oder schwer fällt es Händlern, die richtige Strategie für sich zu finden? Warum ist das so?

Die Entscheidung ist in der Regel leider schon durch die vorhandenen Strukturen vorgegeben. Nur mit entsprechender Top-Management-Unterstützung, Investitionswillen und Zeit lässt sich eine komplett eigene E-Commerce-Struktur aufbauen. Da ist es meist allein aus logischen Gründen einfacher, den Weg als Vendor oder als Seller mit Logistikunterstützung durch Amazon (FBA) zu gehen. Dazu spielen häufig Preiskontrolle und politischer Druck durch die bestehenden Vertriebskanäle eine zusätzliche Hürde, Strategien mit Weitsicht einzuschlagen. 

Was wir also bisher häufig gesehen haben, ist Pragmatismus, der quartalsweise denkt. Wir merken jedoch seit ca. 18 Monaten und jetzt verstärkt durch Corona und auch den zeitweisen Einlieferstopp von Amazon, dass das Strategie-Thema nicht nur bei Amazon-Neulingen, sondern auch bei alten Hasen deutlich höher auf der Prioritätenliste steht! 

 


Über den Interviewgeber Nils Zündorf

Interview mit Nils Zuendorf von der Amazon-Agentur Factor-a

Nils Zündorf ist Managing Director der Amazon-Agentur Factor-a. Die Amazon-Digital-Agentur berät Marken und Lieferanten bei ihren Auftritten auf dem Amazon-Marktplatz und verwaltet diese Auftritte gegebenenfalls auch. Die Agentur verfolgt unter anderem auch einen datengetriebenen Ansatz und bietet eine SaaS-Lösung namens „Factor-A-Suite“. Zündorf selber ist seit über zehn Jahren E-Commerce-Berater und -Spezialist. Als Wirtschaftsinformatiker unterstützt er seine Modelle mit entsprechenden technischen Frameworks und kann so nachweislich wiederkehrende Erfolge für seine Kunden erzielen. (Bild: Nils Zuendorf von Factor-a)

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Geschrieben von Tina Plewinski