Ein Unternehmen muss immer in Bewegung bleiben, darf niemals still stehen. Das wäre für Jeff Bezos der Tod, wie der Amazon-Gründer nun in seinem Jahresbrief verkündet. Das dreiseitige Dokument gibt dabei Weisheiten wie ein Management-Handbuch an den Leser weiter.

Jeff Bezos
© Amazon.com

„Jeff, wie sieht der zweite Tag aus?“ – Diese Frage wurde dem Amazon-Gründer kürzlich in einem Meeting gestellt und gab ihm damit das zentrale Thema für seinen jährlichen Brief an die Aktionäre. Für Bezos gibt es nämlich nur den einen Tag Nummer Eins. Er erinnere Menschen „seit ein paar Jahrzehnten“ daran, dass es der erste Tag sei, arbeite selbst in einem Amazon-Gebäude mit dem Namen „Day 1“ und wenn er einmal mit seinem Büro umzieht, wird der Name mitgenommen – vielleicht vergleichbar mit der Bezeichnung „Air Force One“, die für jedes Flugzeug gilt, mit dem der US-Präsident gerade reist.

In seinem Brief wird deutlich, dass Bezos den Tag 2 regelrecht fürchtet. „Tag 2 ist Stillstand. Gefolgt von Irrelevanz. Gefolgt von qualvollem, schmerzvollem Abstieg. Gefolgt von Tod. Und darum ist es immer Tag 1“, schreibt Bezos. Er stellt aber klar, dass der Abstieg ein quasi Zeitlupen-Ereignis ist: Ein Unternehmen könne den Tag 2 für Jahrzehnte abernten, aber das Endergebnis bleibe dasselbe.

Vier Säulen, um nicht Tag 2 zu erleben

Die interessanteste Frage für den Amazon-Gründer ist deshalb, wie man diesen unheilvollen Tag abwenden kann. Wie schafft es selbst ein großes Unternehmen, die Energie von Tag 1 zu behalten? Hier findet Bezos vier Kernelemente: Kunden-Obsession, Skepsis gegenüber Proxies, die Adaption von externen Trends und schnelle Entscheidungsfindung. Aber der Reihe nach:

Der Fokus auf obsessive Kunden sei für Bezos der beste Schutz der „Day 1 Vitalität“. Der Kundenfokus sei deshalb von großem Vorteil, weil sie „immer wunderschön, wundervoll unzufrieden“ seien, selbst wenn sie angeben, glücklich zu sein und die Geschäfte gut laufen. Kunden seien immer auf der Suche nach etwas besserem, auch wenn sie es selbst noch gar nicht wissen. Das rege kundenfokussierte Unternehmen dazu an, innovativ zu bleiben.

Proxies finden sich laut Bezos in allen größeren Unternehmen. Damit meint Bezos das Phänomen, wenn eher unwichtige Dinge verwaltet werden und das eigentliche Ziel in den Hintergrund rückt. Prozesse seien laut Bezos beispielsweise Proxies. Wenn es ein schlechtes Ergebnis gibt, rechtfertigen sich Manager seiner Erfahrung nach oft damit, den Prozess aber korrekt ausgeführt zu haben. Damit wird der Prozess und seine richtige Durchführung wichtiger als das eigentliche Ziel, nämlich – richtig – den Kunden zufriedenzustellen.

Und es bleibt der erste Tag

Die Adaption von externen Trends ist ebenfalls entscheidend, um an Tag 1 zu bleiben, meint der Amazon-Gründer. Wer neue Entwicklungen nicht schnell aufnimmt, der findet sich schnell an Tag 2 und damit der Abwärtsspirale zum unausweichlichen Tod wieder. Wer gegen Trends kämpft, kämpfe laut Bezos „wahrscheinlich gegen die Zukunft“. Wer sie akzeptiere und für sich nutze, habe Rückenwind. Ein aktuelles Beispiel sei die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und von Machine Learning. Programmierer können zwar klare Regeln für Algorithmen vorgeben, doch diese seien damit starr und können sich nicht anpassen. Die aktuelle Entwicklung biete den Unternehmen mehr Flexibilität, auch wenn das nicht immer sofort ersichtlich ist.

Was uns zu Punkt 4 auf Bezos’ Liste bringt: Entscheidungen in Hochgeschwindigkeit treffen. Tag-2-Unternehmen, räumt Bezos ein, treffen zwar qualitativ hochwertige Entscheidung, aber in einer viel zu geringen Geschwindigkeit. „Um die Energie und die Dynamik von Tag 1 zu behalten, muss man irgendwie qualitativ hochwertige Entscheidung in Hochgeschwindigkeit treffen. Das ist einfach für StartUps und eine große Herausforderung für große Unternehmen“, so Bezos. Sein Rat an Unternehmer: Trefft eine Entscheidung, wenn ihr 70 Prozent der Informationen habt, die ihr eigentlich haben wollt. Wer auf 90 Prozent wartet, ist wahrscheinlich schon zu spät dran. Zudem käme es darauf an, schlechte Entscheidungen auch schnell wieder rückgängig zu machen. Wer gut darin sei, seinen Kurs zu ändern, mache weniger kostspielige Fehler.

Zum Abschluss seines Briefs an die Aktionäre macht Bezos dann, was er in jedem Jahr macht: Den ersten Aktionärsbrief aus dem Jahr 1997 anhängen. Denn, so merkt Bezos zum Schluss an, „es bleibt Tag 1“.

/ Geschrieben von Michael Pohlgeers




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