Amazon hat seinen aktuellen Weihnachtsspot herausgebracht – auf den ersten Blick vielleicht ein gewohnt emotional-gelungener Streifen. Doch wenn man sich das Story-Telling auf der Zunge zergehen lässt, wird's eher bitter. Ein Kommentar.

Neues Weihnachtsvideo von Amazon, Screenshot
Amazon, Screenshot

Beschwingte Klänge, singende Pakete, herzergreifende Geschichten – so kennen wir Amazons alljährliche Weihnachtswerbespots. Mit immer neuen Geschichten entführt uns der Konzern Jahr für Jahr in eine Welt, in der es vor heimeligen Dekorationen nur so wimmelt, Menschen zusammenkommen, Träume erfüllt werden und der weihnachtliche Konsum in vollen Zügen genossen wird.

Selbst in einem schwierigen Jahr wie 2020, in dem Amazon im Rahmen der Pandemie Themen wie Kontaktverbote oder das Gefühl der Einsamkeit aufgriff, schaffte es der Konzern – wie üblich –, den Zuschauern am Ende ein wohlig-warmes und hoffnungsvolles Gefühl mitzugeben. Denn meist standen Mitgefühl, Großzügigkeit und Dankbarkeit im Fokus entsprechender Weihnachtsvideos. Und Amazon ist bekanntermaßen ein Künstler des werblichen Geschichtenerzählens. Zumindest bisher ...

Keine Wärme. Wenig Hoffnung.

Wer sich nämlich wieder auf ein fröhliches, buntes, heimeliges, gar hoffnungsschwangeres Weihnachtsvideo von Amazon gefreut hat, dürfte in diesem Jahr eventuell enttäuscht werden. Denn im allerneuesten Streifen sucht man die singenden Pakete oder das Gefühl wohliger Wärme (im physischen oder emotionalen Sinne) eher vergebens.

Er dreht sich um eine junge Frau im tristen Großstadt-Dschungel, die sich trotz Einbindung an der Uni, Diskobesuchen mit Freunden oder sonstiger gesellschaftlicher Kontakte irgendwie fehl am Platz und unwohl fühlt. Einsamkeit in der Masse dürfte das zentrale Thema sein, das nicht nur optisch durch Kargheit und viele dunkle Töne, sondern auch akustisch durch teils unangenehm fiepende Grundgeräusche versinnbildlicht wird. 

Und die Lösung des Problems: Natürlich der Einkauf bei Amazon – im Rahmen eines kleinen, lieben Präsents durch eine freundlich-mütterliche Nachbarin. Konsum heilt nämlich alle Wunden!

Psychologische Probleme werden zum Konsum-Antrieb

Natürlich ist die Geste der netten Nachbarin im Video freundlich gemeint und soll auch ein Gefühl des Nicht-Alleinseins vermitteln. Auch das Motto des Spots „Herzlichkeit ist das schönste Geschenk“ versucht zwanghaft, emotionale Nähe zu schaffen. Allerdings greift Amazon hier ein massives gesellschaftliches Problem auf und degradiert es zum Kauf-Impulsgeber.

Bereits in verschiedenen Studien wurde auf das Problem der Einsamkeit, depressiver Tendenzen und einhergehende körperliche und seelische Probleme durch die Pandemie eingegangen. Gerade auch bei jungen Menschen! Und natürlich ist es wichtig und eine zentrale Aufgabe, auf dieses Problem aufmerksam zu machen, um Lösungen zu finden und Hilfen anbieten zu können.

Allerdings ist Amazon nunmal kein Wohltätigkeitsverein und auch kein Heilsbringer in medizinisch-psychologischen Belangen. Amazon steht im Zentrum des Konsums, ist Wunsch-Erfüller in materiellen Fragen und Sinnbild des Kapitalismus. Da hilft auch der neue, emotionsgeladene Song des Superstars Adele nicht, der das Video untermalt. Wenn sich der eigentlich grandiose Geschichtenerzähler rund um Konsum plötzlich zum Heiler pandemiebedingter, psychologischer Probleme aufschwingen will und komplexe psychologische Erkrankungen werbewirksam mit Konsum kurieren möchte, hat das in meinen Augen ein gewisses Geschmäckle. Ein Rat von mir: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Dann klappt's vielleicht im nächsten Jahr wieder mit einem tollen Weihnachtsspot.

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Geschrieben von Tina Plewinski




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