Warum ein gemeinsames Unternehmen zwischen Bertelsmann und Amazon einst scheiterte, erklärt der umstrittene Ex-Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff in einem Interview.

Jeff Bezos mit einem Kunden
© Amazon

Amazon startete 1995 seine Webseite in den USA, war damals noch ein kleines Licht und weit entfernt von den wertvollsten Unternehmen der Welt, in deren Liga es heute spielt. Was wäre gewesen, wenn damals ein deutscher Riesen-Konzern wie Bertelsmann (u. a. RTL, Penguin Random House, Gruner + Jahr) gemeinsame Sache mit dem aufstrebenden StartUp von Jeff Bezos gemacht hätte? Thomas Middelhoff, der umstrittene und wegen Untreue verurteilte Ex-Chef des Konzerns, wirft in einem Interview mit der Berliner Zeitung einen Blick zurück und erklärt, warum ein mögliches Joint Venture scheiterte.

Joint Venture in den 90er Jahren zwischen Bertelsmann und Amazon

Middelhoff war zwischen 1994 bis 2003 für die Internetstrategie der Bertelsmann AG zuständig und wurde dort Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns, bevor er Chef beim Einzelhandelskonzern Arcandor (bis 2007 KarstadtQuelle) wurde, der dann insolvent ging. Wie er erzählt, hatte Bertelsmann sogar schon einen Vertrag mit Amazon-Gründer Jeff Bezos vorverhandelt: Demnach hätten damals beide Unternehmen jeweils 50 Prozent an einem Joint Venture halten sollen, Bertelsmann wäre für das Europageschäft zuständig gewesen. Middelhoff habe Bezos damals per Firmenmaschine aus Istanbul holen lassen – aus seinen Flitterwochen mit der inzwischen von ihm geschiedenen MacKenzie Scott.

Paradiesvogel Bezos kam in Poloshirt und Bermudashorts zum Geschäftstermin

Und Bezos schien trotz Businesstermin in Urlaubsstimmung zu sein – er kam nämlich laut Middelhoff in Poloshirt, Bermudashorts, Baseballmütze und Rucksack. „Das hat die Kollegen irritiert“, so der Ex-Manager. Die Bertelsmann-Sekretärinnen hätten Bezos als „Paradiesvogel“ bezeichnet.

Doch der Grund für das Scheitern der Verhandlungen lag eher in Bezos geplanter breiterer Ausrichtung des Sortiments: Er wollte – anders als Bertelsmann – nicht nur Bücher und CDs, sondern alle möglichen Produkte online verkaufen. Die Entscheidungsträger bei Bertelsmann hätten sich daraufhin gegen das gemeinsame Projekt ausgesprochen – rückblickend wohl ein gigantischer Fehler. „Das war damals einfach unvorstellbar! Das hatte nichts mit Medien zu tun … und wenn wir heute sehen, wie erfolgreich Amazon ist, wirkt diese Entscheidung von damals einfach tragisch“, gibt Middelhoff zu. Zum Vergleich: Der Bertelsmann-Konzern hat 2019 rund 18 Milliarden Euro Umsatz gemacht, Amazon rund 280 Milliarden US-Dollar.

Wie weitreichend derartige Entscheidungen sind, zeigt auch ein Beispiel von Bezos selbst: Der Amazon-Chef hätte einst fast Netflix gekauft – Amazon Prime Video hätte es dann in der heutigen Form wohl nicht gegeben.

Thomas Middelhoff wurde im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. 

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Geschrieben von Markus Gärtner

Kommentare

#1 Christian Schröter 2021-09-15 14:33
Das ist natürlich auch in Gütersloh (»Gütsel«) ein großes Thema … habe erst im August etwas dazu gebracht …



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